Infrastruktur
Geschrieben am 21.06.2022
Wir halten oft die Infrastrukturen für selbstverständlich und legen darauf keinen Wert. In unseren Kreisen ist man gewöhnt, dass aus dem Wasserhahn Wasser und aus der Steckdose Strom kommt. Doch die Infrastrukturen sind das, was unser aller Leben am Meisten prägt. In unserer Geschäftigkeit fokussieren wir uns auf Kleinigkeiten. Ich werde heute in die Stadt fahren und dies und jenes tun. Das halte ich subjektiv für „mein Leben”. Die Hauptrolle spielt hierbei aber nicht mein überschätztes Tun, sondern: die Stadt überhaupt, die Straße, auf der ich in diese komme, meine Wohnung, die mir ein Bett, in dem ich ruhig übernachten, ein Bad in dem ich mich waschen konnte und eine Waschmaschine, die mir saubere Kleidung bereitstellte. Unser Leben ist hauptsächlich durch die Existenz von Städten, Straßen, Bahn- und Flugstrecken, Kanalisation und Stromtrassen geprägt, die unsere Umwelt bestimmen. Genauso von: Schulen, Freizeitangeboten, Medien, Arbeitsmarkt, politisches und Rechtssystem und vielerlei mehr. Alle, die wir im Zusammenhang leben, führen ein ähnliches Leben, wenn man es mit anderen Menschen vergleicht, die in anderen Zeiten oder Regionen existiert haben oder es heute tun.
Doch gerade das Wichtigste und Augenfälligste übersehen wir. Wir verschwenden keinen Gedanken etwa an der geschriebenen Sprache. Sie ist uns keine Frage wert. Sie hat es gefühlt immer schon so gegeben. Dabei ignorieren wir den langen Weg, der uns in die gegenwärtige Schriftsprache gebracht hat, und die große Mühe, die so viele Menschen auf sich genommen haben müssen. Irgendwann vor Tausenden von Jahren fing irgendjemand damit an, mit Markierungen vielleicht auf Holz oder Stein bestimmte Sachen (Götter? Ereignisse? Alltägliches?) festzuhalten. In einer aus heutiger Sicht extrem langsamen Entwicklung wurden die Schriftzeichen auf mehr und mehr Bereiche angewendet, auf Begriffe, auf Zahlen, später auf Sprache, irgendwann erfand man die Trennung nach Worten, die Interpunktion, irgendwann entstand die Prosa, später die wissenschaftliche Abhandlung. Wir sollten die Schriftlichkeit nicht für etwas, das uns gegeben ist, sondern für etwas, das wir geschafft haben, halten. Nicht für etwas, das man nicht ändern kann, sondern für etwas, das man ändern kann und soll, um weiter zu kommen.
Genauso mit etwa der Computertechnik. Wir halten es für gegeben so, wie es heute ist, und können uns nicht vorstellen, dass es anders sein könnte. Dabei sind die heutigen Betriebssysteme, das Web, die gängigen Anwendungen, so wie sie heute sind, das kummulierte Ergebnis von impliziten oder expliziten Entscheidungen von bestimmten Menschen zu bestimmter Zeit in bestimmter Umgebung.
Deshalb ist die Arbeit an Infrastrukturen die am entscheidendsten. Man muss die aktuellen Infrastrukturen untersuchen und bewerten, an ihrer grundsätzlichen Verbesserung arbeiten, die guten Entwicklungen fördern und die schlechten vermeiden. Und, warum nicht, ganz neue, noch ungeahnte Infrastrukturen skizzieren, die uns radikal weiter bringen würden. Denn jeder kleine Schritt (zum Guten oder Schlechten) in der Infrastruktur ist ein großer Fort- bzw. Rückschritt für die Menschheit.